Licht aus, Spot an: 1.000 Glasdias und die ersten Lichtbildvorträge des Volkskundemuseum Wien


Die ersten 1.000 Diapositivnummern des Volkskundemuseum Wien wurden vorwiegend für (populär-)wissenschaftliche Lichtbildvorträge, oft zu geografischen und kulturellen Aspekten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, zwischen 1900 und 1927 angefertigt. Bereits um 1900 wurden viele dieser Dias in sogenannten Skioptikon-Vorträgen (griech. dia = durch, skopein = betrachten) von Museumsmitarbeiterinnen und Musemsmitarbeitern verwendet. Ihre systematische Erfassung und Inventarisierung erfolgten jedoch erst um 1915. Die dazugehörigen Einträge beschränken sich meist auf die Benennung des abgebildeten Motivs. Weitere Angaben, etwa zur Herstellung und Nutzung, fehlen nahezu vollständig.

Lediglich die klare thematische Gliederung im Inventarbuch erlaubt Rückschlüsse auf die mit diesen Bildern illustrierten Vorträge. Referentinnen und Referenten aus dem Bereich der Volkskunde, wie Michael Haberlandt (1860–1940), Arthur Haberlandt (1889–1964), Rudolf Trebitsch (1876–1918), Marianne Schmidl (1890–1945) und Konrad Mautner (1880–1924), hielten ihre Diavorträge vor allem an der Wiener Urania, der Universität Wien, in Vereinen und im Volkskundemuseum Wien selbst. Nach der Gründung des staatlichen Volksbildungsamts im Jahr 1919 fanden die Lichtbilder zunehmend Verwendung in Bildungskursen für Lehrerinnen und Lehrer.

Prunkstiege im Gartenpalais Schönborn, Wien, 1917, dia/392Volkskundemuseum Wien / Foto: Bruno Reiffenstein, CC PDM 1.0
 



Im Jahr 1915

Bereits mit der Gründung des Museums im Jahr 1895 begannen Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter mit der Übernahme und Inventarisierung von Positiven (vgl. Album Right from the start – Die ersten 1.000 Positive der Fotosammlung). Diapositive hingegen wurden erst um 1915 in die Fotosammlung aufgenommen und – zunächst thematisch geordnet – inventarisiert. Diese späte Integration der Diapositive in die Sammlung dürfte mehrere Gründe haben. Zum einen wurden sie primär als Arbeitsmittel wahrgenommen: Die Dias der „frühen Generation“ (dia/1–1000, inventarisiert 1915–1927) waren im Gegensatz zu den anderen fotografischen Objekten keine Schenkungen von Vereinsmitgliedern (vgl. Album Right from the start – Die ersten 1.000 Positive der Fotosammlung), sondern Museumsmitarbeiterinnen und Museumsmitarbeiter oder Gastvortragende ließen sie speziell für Lichtbildvorträge anfertigen. Zum anderen wurden die gesammelten Positive lange Zeit von der Bibliothek mitbetreut, wo man gewohnt war, mit Papier umzugehen. Dies erleichterte deren Handhabung im Vergleich zu Dias und Negativen, die damals häufig aus Glas bestanden. Auch in Bezug auf Aufbewahrung und Beschriftung stellten Glasplatten eine größere Herausforderung dar und ließen sich vermutlich nur schwer in die bestehenden Abläufe integrieren.


Fototechnik, Produktion und Leihwesen

Alle hier gezeigten Dias bestehen aus Glas als Trägermaterial und haben meist die Formate 8,5 × 8,5 cm oder 8,5 × 10 cm. Diese sogenannten Laternbilder oder Laterna Magica-Dias waren besonders im späten 19. und frühen 20. Jahrhundert weit verbreitet. Sie zeigen Positivbilder auf Glas, die entweder durch Kontaktkopie von einem Glasnegativ oder durch Abfotografieren des Negativs auf eine Diaplatte (Lantern Slide-Kamera) entstanden. Für die Projektion wurden sie mit einer Laterna Magica oder einem Skioptikon – den Vorläufern des modernen Diaprojektors – auf eine senkrechte Fläche geworfen. Um das empfindliche Bild zu schützen, wurde eine zweite Glasplatte darübergelegt und die beiden Platten an den Rändern mit Klebeband fixiert. So wurde verhindert, dass die Dias während des Gebrauchs oder bei der Projektion mit Kerzen- oder Gaslicht beschädigt wurden. Von wem die Diapositive in unserer Sammlung vor 1920 hergestellt wurden, ist heute unbekannt – die Einträge im Inventarbuch enthalten keine Angaben dazu. Darüber, ob der damalige Restaurator des Museums, Robert Mucnjak (1901–1980), oder der Auftragsfotograf des Hauses, Josef König (Lebensdaten unbekannt), in die Diaproduktion eingebunden waren, kann nur spekuliert werden. Dafür spricht, dass beide Namen vereinzelt im Inventarbuch oder auf den Dias aufscheinen und dass ein sogenanntes Kontaktkopiergerät, auch als Diapresse oder Chronograph bezeichnet, heute noch Teil der Fotosammlung ist. In den seltenen Fällen, in denen Fotografinnen und Fotografen im Inventarbuch namentlich erwähnt werden, handelt es sich vornehmlich um jene, die das Negativ oder ein zugrundeliegendes Positiv – also die Vorlage – erstellten. Zu nennen wären hier wiederum Michael Haberlandt und Arthur Haberlandt als Gründungs- und Nachfolgedirektoren des Museums sowie Rudolf Trebitsch, Marianne Schmidl, Konrad Mautner und auch Eugenie Goldstern (1884–1942) als zeitweise Kolleginnen bzw. Kollegen, Volontärinnen bzw. Volontäre und als Vereinsmitglieder.

Im Jahr 1920 taucht im Inventarbuch erstmals der Eintrag „Geschenk v. d. Staatl. Lichtbildstelle“ auf, ab 1921 häufen sich zudem Vermerke wie „V. B. A. (ständige) Leihgabe“. Was hat es damit auf sich? Im Juli 1919 gründete der sozialdemokratische Unterstaatssekretär für Unterricht im Staatsamt für Inneres und Unterricht Otto Glöckel (1874–1935) das staatliche Volksbildungsamt (VBA) und richtete zugleich eine angegliederte Lichtbildstelle ein. Das Neue Wiener Abendblatt berichtete über deren Aufgabe: „Eine Abteilung für Reproduktion wird die Vervielfältigung der Negative besorgen und insbesondere auch Diapositive für Unterrichts- und Volksbildungszwecke herstellen.“ Neben der Vermittlung von Bildungsinhalten sollte die Lichtbildstelle auch visuelle Werbemittel zur Förderung des Tourismus produzieren (Raid 2021).

Es besteht also kein Zweifel, dass die Lichtbildstelle des VBA Herstellerin der so gekennzeichneten Dias war. Da sich für viele dieser Diapositive die Vorlagenbilder – als Negative oder Positive – in unserer Sammlung befinden, muss die Lichtbildstelle sie aus dem Museum für die Diaherstellung entliehen haben. Eine mögliche Erklärung für die Beschriftungen und das (Leih-)Prozedere liefert die Leihordnung des VBA. Diese besagte, dass Institutionen, die dem VBA ihre Diasammlung als ständige Leihgabe zur Verfügung stellen, bevorzugten Zugang zu den Lichtbildern des VBA erhielten (Raid 2021). Daraus ergeben sich die Fragen: Warum sind die so gekennzeichneten Dias überhaupt in der Museumssammlung vorhanden? Wurden sie eventuell bis zur nächsten Leihe im Museum und nicht in der Lichtbildstelle aufbewahrt und sind deshalb noch hier? Dies bedarf weiterer Klärung. Zwischen 1921 und 1923 wurde aus dem VBA im Staatsamt für [Inneres und] Unterricht die Volksbildungsstelle im Bundesministerium für [Inneres und] Unterricht (BMU) (zeitweise waren Inneres und Unterricht in einem Amt organisiert). Dies erklärt, warum in den Folgejahren „BMU“ und „Volksbildungsstelle“ im Dia-Inventarbuch des Volkskundemuseum aufscheinen (zur Entwicklung der Lichtbildstelle nach 1927 siehe Album „dia/1001–2000“).


Was sehen wir?

Das Dia-Inventarbuch beginnt mit einer thematischen Serie unter der Überschrift „Volkstypen und Trachten aus den einzelnen Kronländern“. Diese Betitelung spiegelt auch den frühen Positiv- und Negativbestand der Fotosammlung ab 1895 wider und damit das, was die Gründungsdirektoren mit ihrem Aufruf an diverse Vereine und Kameraclubs 1894 „einwarben“ – tatsächlich handelt es sich bei vielen Dias um Reproduktionen der frühen Positivnummern (siehe Album Right from the start – Die ersten 1.000 Positive der Fotosammlung). Eine deutlichere Themengliederung zieht sich durch die ersten beiden Dia-Inventarbücher, anhand derer eine Rekonstruktion vieler damals gehaltener Lichtbildvorträge möglich ist (siehe Anhang 1 und 2). Abgebildet sind neben Objekten (34 %) auch jene Bereiche, die der frühen Volkskunde besonders wichtig waren wie Gebäude und Raumausstattung (sogenannte Hausforschung) (27 %), Personen in Trachten und stereotype Personendarstellungen aus verschiedenen Gebieten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie (21 %), Volksschauspielszenen (7 %), Landschaften und Karten (7 %) sowie handwerkliche und landwirtschaftliche Tätigkeiten (3 %).

Bei den Objektfotografien handelt es sich nur zum kleinen Teil um Sammlungsobjekte aus dem Volkskundemuseum. Abgebildet sind religiöse Gegenstände, Möbel, Textilien wie Spitzen und Besatzstreifen, Spinnrocken und Objekte der „Volksmedizin“. In der Hausforschung werden Hütten, Stadeln, Ställe, Erdställe, Gehöfte, Kirchen und Moscheen, Straßenzüge, aber auch Inneneinrichtung gezeigt. Zu den „Volksschauspielen“ zählen Paradeisspiele, Bauernhochzeit, Faschingstreiben und Faschingsumzüge, Tänze wie die der Tresterer sowie Passionsspiele. Aus Landwirtschaft und Handwerk sind Almauftrieb und -abtrieb, Fellbearbeitung, Flachsbrecheln oder Tontreten zu nennen. Die abgebildeten Aufnahmen stammen aus fast allen Gebieten der Österreichisch-Ungarischen Monarchie, wie aus Galizien, der Bukowina, Böhmen, Mähren, Siebenbürgen, Albanien und Montenegro, Herzegowina, Istrien, Dalmatien, Tirol, Vorarlberg, Salzburg, der Steiermark, hier besonders Gößl und Aussee (Konrad Mautner), und Nieder- und Oberösterreich. Aufnahmeorte außerhalb der Habsburgermonarchie sind z. B. im heutigen Bulgarien (Marianne Schmidl), in Bessans in den französischen Alpen (Eugenie Goldstern) sowie in Irland, Wales, England, der Bretagne und dem Baskenland (Rudolf Trebitsch), in Skandinavien, Japan und Mexiko. Viele der Dias können Positiv-Inventarnummern der Sammlung zugeordnet werden (im Bereich pos/133–pos/6756) und sind oft Reproduktionen derselben. Zudem wurden Abbildungen aus verschiedenen Publikationen reproduziert, darunter „Österreichische Volkskunst“, „Volkskunst der Balkanländer“, „Peasant Art in Sweden, Lapland and Iceland“, „Die österreichisch-ungarische Monarchie in Wort und Bild“ (das sgn. Kronprinzenwerk) sowie „Künstliche Höhlen aus alter Zeit“.


Projektion 1880er bis 1920er Jahre

Vermutlich wurden alle Diapositive der Inventarnummern dia/1 bis dia/1000 speziell für Lichtbildvorträge angefertigt und auch für diesen Zweck verwendet. Ab etwa 1880 etablierte sich das Skioptikon als Projektionsgerät für Glasdias auch in Österreich und fand in verschiedenen Einrichtungen und Vereinen breite Anwendung – sei es für wissenschaftliche, künstlerische oder gesellige Zwecke. Besonders hervorzuheben ist die Wiener Urania, die rasch zur bedeutendsten Volksbildungsinstitution in der Österreichisch-Ungarischen Monarchie aufstieg. Im Jahr 1891 gründete sich in Wien der „Wissenschaftliche Verein Skioptikon“ mit dem Ziel, eine Diasammlung anzulegen, die Bildungseinrichtungen leihweise zur Verfügung gestellt werden sollte. In einem Begrüßungsschreiben anlässlich der Gründung des Vereins für Österreichische Volkskunde teilte der Verein Skioptikon mit, dass er dessen Arbeit durch das Anlegen einer Sammlung ethnographischer Bilder unterstützen wolle (ÖZV 1895). Michael Haberlandt hielt vermutlich 1893/94 seinen ersten Skioptikon-Vortrag im Wiener Volksbildungsverein zum Thema „Die Völker der Erde“ (siehe www.archiv.vhs.at). Im Volkskundemuseum selbst fand 1903 eine der ersten Diaschauen statt, bei der Moriz Hoernes über das Passionsspiel in Brixlegg referierte. Das dafür benötigte Skioptikon wurde von der Firma Lenoir & Forster zur Verfügung gestellt (ÖZV 1904). Ebenfalls 1903 präsentierte Michael Haberlandt im Volkskundemuseum Dias zu „Volkstypen, Trachten, Hausbauformen und Volksspielen“ – vermutlich kamen dabei die Inventarnummern dia/1 bis dia/80 zum Einsatz. Ab diesem Zeitpunkt wurden Diavorträge zu einem festen Bestandteil fast jeder Jahreshauptversammlung des Vereins für Volkskunde, meist präsentiert von Mitarbeitenden und Vereinsmitgliedern (siehe Anhang 1). Noch häufiger jedoch waren viele der schon genannten Fotografinnen und Fotografen sowie Referentinnen und Referenten an verschiedenen Wiener Volksbildungseinrichtungen wie der Urania, mit populärwissenschaftlichen Einzelvorträgen und Kursen tätig (siehe Anhang 2). Ab 1920 nahmen insbesondere Bildungskurse für Lehrerinnen und Lehrer zu, was auf die Gründung des „Deutschösterreichischen Volksbildungsamts“ im Juli 1919 durch den Sozialdemokraten Otto Glöckel zurückzuführen ist (siehe oben).


Astrid Hammer

Kuratorin der Fotosammlung

29.1.2025


Anhang 1: Beispiele von Lichtbildvorträgen zur Generalversammlung des Vereins für Volkskunde zwischen 1907 und 1923 (vgl. Zeitschrift für österreichische Volkskunde 1907–1918 und Wiener Zeitschrift für Volkskunde 1919–1923)

1907 „Fraisen und andere Krankheiten im Lichte der vergleichenden Volksmedizin“ von Oskar Hovorka Edler von Zderas

1908 „Aphorismen aus der vergleichenden Volksmedizin“ von Oskar Hovorka Edler von Zderas

1911 „Kelten in GB und Frankreich“ von Rudolf Trebitsch

1913 „Albanische Volkskunst“ von Arthur Haberlandt

1914 „Altertümliche Darstellung der heiligen Dreifaltigkeit mit dem Dreigesicht“ von Karl von Spieß

1916 „Haus und Tracht in Albanien“ von Arthur Haberlandt

1917 „Schwierige Neugestaltung des Schönbornpalais“ von Michael Haberlandt

1923 „Volksleben des steiermärkischen Salzkammergutes“ von Konrad Mautner


Anhang 2: Beispiele von Lichtbildvorträgen in Wien zwischen 1908 und 1925 (vgl. www.archiv.vhs.at)

1908 16. Internationaler Amerikanisten-Kongress in Wien zu „Ethnographisches aus Westgrönland, mit Vorführung von Lichtbildern und Phonogrammen“, Rudolf Trebitsch

1910 K. k. Österreichisches Museum für Kunst und Industrie zu „Werke der Volkskunst“ und den abgebildeten Objekten des Volkskundemuseums, Michael Haberlandt

1910/11 Urania zu „Bei den Eskimos in Westgrönland, Rudolf Trebitsch

1914 K. k. Geografische Gesellschaft zu „Kultur- und Nationalitätengrenzen Österreichs“, Arthur Haberlandt

1914 Urania, vierwöchiger Kurs zu „Volkstum Österreichs“, Arthur Haberlandt

1918 Universität Wien zur „Ethnographie der Balkanländer“, Arthur Haberlandt

1918 Volksbildungsverein zu „Volkskunde und Heimatsinn“, Arthur Haberlandt

1919 Zoologisch-botanische Gesellschaft zur „Volkstümliche Pflanzenkunde“, Arthur Haberlandt

1919 Urania, Zyklus „Deutschösterreichische Völkerstämme“

ab 1920 Unterrichtsministerium, siebenteiliger Lehrerkurs mit 300 Anmeldungen zu „Volkskundliche Sammlungen für den Heimat- und Arbeitsunterricht“

1921/22 Urania, „Volksleben im steirischen Salzkammergut“, Konrad Mautner; „Volkskundliche Studien: Volk und Volkskunst im Salzkammergut“, Michael Haberlandt

1923 Urania, Lehrerkurs, Michael und Arthur Haberlandt; Reihe zu „Volkstrachten in Österreich“, Konrad Mautner

1925 Urania über „Völker Europas“, Michael Haberlandt; „Volkstum und Volkskunde“, Arthur Haberlandt; „Reiseeindrücke aus Bulgarien“, Marianne Schmidl

1925 Volkshochschule Landstraße und Margarethen zur „Einführung in die Volkskunde“, Adelgard Perkmann


Ungedruckte Quellen:

Raid, Maria: Volkskundemuseum Wien (ÖMV)/Fotosammlung. Bericht zum im Jahr 1927 als Leihgabe inventarisierten Dia-Bestand mit Provenienz Mautner in der Fotosammlung des ÖMV, 26.4.2021.
Literatur:

o.A.: V. Vereinsnachrichten. III. Verkehr. a) Nach außen: In: Zeitschrift für österreichische Volkskunde 1/1895, S. 63.

o.A.: V. Mittheilungen aus dem Verein und dem Museum für österreichische Volkskunde. a) Verein. 1. Jahresversammlung am 20. April 1904. In: Zeitschrift für österreichische Volkskunde 10/1904, S. 124.
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